- Ökologie: Populationen und Biozönosen
- Ökologie: Populationen und BiozönosenÖkosysteme können auf verschiedenen Ebenen untersucht werden. Auf der untersten Ebene, der Autökologie, werden die Ansprüche der Lebewesen einer Art an ihre Umwelt untersucht und möglichst quantitativ erfasst. Mitunter wird von der Autökologie die Populations- oder Demökologie abgetrennt, in der die Wechselbeziehungen der Individuen einer Art untereinander analysiert werden. Da man sich auch in der Populationsökologie nur mit einer einzigen Art beschäftigt, kann sie jedoch auch als Teil der Autökologie aufgefasst werden. Deutlich davon zu unterscheiden ist die Synökologie, die der Untersuchung der Wechselwirkungen aller Arten eines Lebensraums gewidmet ist. Die komplexeste Stufe der Ökologie stellt schließlich die Landschaftsökologie dar, deren Untersuchungsgegenstand die Ökosysteme sind. Hierbei wird versucht, alle Organismen gemeinsam mit den vorgegebenen Bedingungen ihres Lebensraums in Beziehung zu bringen. Betrachten wir nun die verschiedenen Ebenen der Ökologie etwas genauer.Im Mittelpunkt steht die Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Lebewesen und ihrer unbelebten Umwelt. Dazu gehören beispielsweise der Einfluss der Temperatur und ihrer natürlichen Schwankungen, die Verfügbarkeit von Trinkwasser oder die relative Luftfeuchte. Für Wasserlebewesen spielt darüber hinaus auch die Beschaffenheit des Wassers eine entscheidende Rolle: Wie hoch ist beispielsweise der Salzgehalt? Ist das Wasser mit Torf oder Lehm befrachtet? Enthält es viel oder wenig gelösten Sauerstoff? Stets erweist sich das Angebot an verwertbaren Mineralstoffen als bedeutsam für die Lebewesen; für Pflanzen sind zudem Bodenzusammensetzung und Bodenbeschaffenheit lebensentscheidend. Für Tiere hingegen ist es vergleichbar wichtig, ob sie Unterschlupf und Schutz vor Feinden finden und ob geeignete Brutplätze zur Verfügung stehen. Umweltfaktoren wie Windstärke und Windhäufigkeit können beispielsweise darüber entscheiden, ob und von welchen Arten ein Lebensraum besiedelt werden kann. Diese kurze und höchst unvollständige Aufzählung einiger lebensentscheidender Faktoren der unbelebten Umwelt lässt bereits erkennen, dass die Umweltbedingungen eines Lebensraums eng mit dem Stoffwechsel und mit anderen Lebensvorgängen der Organismen verknüpft sind, sodass bereits auf der Stufe der Autökologie die zu untersuchenden Phänomene ausgesprochen komplex sind.Verteilungsmuster von PopulationenIn einem größeren Lebensraum lebt niemals nur ein Individuum, sondern es sind stets mehrere oder sogar sehr viele. Dadurch ergeben sich zwangsläufig Wechselwirkungen dieser Individuen untereinander, etwa in der Form, dass der vorhandene Lebensraum oder die Nahrung aufgeteilt werden müssen. Die Untersuchung dieser Wechselwirkungen ist das Ziel der Populations- oder Demökologie.Als Population bezeichnet man alle Individuen einer Art, die in einem bestimmten Gebiet zusammenleben, wobei dieser Lebensraum so beschaffen sein muss, dass sie sich alle ohne Einschränkung untereinander kreuzen und fortpflanzen können. Das bedeutet, dass eine Population über einen einheitlichen Genbestand (Genpool) verfügt. Dieser kann sich von dem Genpool einer anderen Population derselben Art, die beispielsweise in einer anderen Klimazone lebt, unterscheiden, da er von den herrschenden Umweltfaktoren geprägt wird. Man spricht in diesem Fall von verschiedenen Ökotypen einer Art. Beispielsweise unterscheidet sich das im Gebirge wachsende Habichtskraut von dem in der Ebene wachsenden unter anderem in seiner Blütenfarbe. Ein anderes Beispiel ist der Stichling, ein kleiner Fisch, der in Süß- und Brackwasser in verschiedenen Formen mit jeweils unterschiedlichem Salz- und Temperaturbedürfnis existiert. Solche Beispiele für verschiedene Ökotypen einer Art ließen sich beliebig fortsetzen.Über morphologische, physiologische und genetische Fragen hinausgehend, beschäftigt sich der Populationsökologe auch mit Verhaltensweisen in Populationen. So interessiert ihn unter anderem die Verteilung der Organismen in dem ihnen zur Verfügung stehenden Lebensraum. Zeigen die Individuen einer Population nicht das Bedürfnis, sich zu kleineren oder größeren Gruppen zusammenzuschließen, dann werden sie sich über den verfügbaren Raum zufällig verteilen. Solche zufälligen Populationsverteilungen sind beispielsweise charakteristisch für Stubenfliegen oder auch viele Pflanzenarten, wenn sie sich auf natürlichem Weg ausbreiten können. Schließen sich die Individuen einer Art zu Gruppen zusammen, etwa zum Zweck der Fortpflanzung, wie es während der bei vielen Tierarten üblichen Brutpaarbildung der Fall ist, so spricht man von geklumpter Verteilung. Derartige Zusammenschlüsse können zum Beispiel bei herden- und schwarmbildenden Tieren einen gewissen Schutz vor Feinden bewirken, sie können bei einem Rudel Wölfe den Jagderfolg verbessern oder auch einen Vorteil für andere Lebensbedürfnisse bedeuten. Stets bilden sich zwischen den einzelnen Tiergruppen mehr oder minder ausgeprägte Freiräume, die von verschiedenen Arten sogar aktiv aufrechterhalten werden, weil sich dadurch die Lebensbedingungen der eigenen Individuengruppe verbessern. Bei Pflanzen können solche Freiräume beispielsweise durch den Schattenwurf einer Baumkrone geschaffen werden, der andere Pflanzen daran hindert, groß zu werden. Es gibt aber auch Pflanzen, die aktiv solche Freiräume schaffen, indem sie aus den Wurzeln Stoffe ausscheiden, die das Wachstum von Konkurrenten hemmen. Beispiele sind die Ausscheidung von Juglon durch den Walnussbaum oder von Kampfer und Cineol durch Salbei. Solche durch Stoffausscheidungen bewirkten Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arten bezeichnet man als Allelopathie.Viele Tierarten schaffen sich Freiräume durch die Abgrenzung von Revieren, die sie beispielsweise durch Kot, Urin oder Gesang markieren und gegebenenfalls auch aktiv gegen Eindringlinge verteidigen. In allen diesen Fällen entspricht die Verteilung der Individuen den Abständen, die die Reviergrenzen oder bei Pflanzen die Grenzen der stofflichen Hemmzonen markieren. Ein solches Verteilungsmuster nennt man gleichmäßig.Reaktionen auf zu hohe IndividuenzahlenKomplikationen entstehen bei der Raumverteilung, wenn die Individuenzahl so groß ist, dass die Individuen mehr Raum benötigen, als bei Einhaltung der Verteilungsregeln eigentlich zur Verfügung steht. In solchen Fällen können recht unterschiedliche Ausgleichsmechanismen wirksam werden. So besteht beispielsweise die Möglichkeit, in benachbarte Lebensräume auszuwandern (Emigration) oder das Populationswachstum zu begrenzen. Verschiedene Arten reagieren bereits auf ein mangelhaftes Nahrungsangebot mit verminderter Fortpflanzungsrate, sodass etwa diejenige Individuenzahl beibehalten wird, die der Lebensraum wirklich ernähren kann. Andere Arten reagieren mit verminderter Fortpflanzungsfähigkeit, wenn die Individuendichte zu groß wird. Oder es sterben erwachsene Lebewesen infolge des zu groß gewordenen Dichtestresses, bis sich die artspezifisch normale Individuenverteilung wieder eingestellt hat. Schließlich gibt es auch Arten, die sich weitgehend unabhängig von der Individuendichte vermehren, sodass die Tragfähigkeit des verfügbaren Areals überschritten wird; dieses Phänomen wird Gradation genannt. Das ist jedoch nur möglich, wenn die Organismen ihre Ernährung umstellen können, wenn es sich also um polyphage (sich von vielen verschiedenen Nahrungsquellen ernährende) Lebewesen handelt und nicht um oligophage, die nur wenige Nahrungsquellen in Anspruch nehmen können. Durchläuft eine solche Population eine Gradation, kommt es zum Kahlfraß in dem betreffenden Lebensraum. Als Folge davon stellt sich Nahrungsmangel ein, der dann zum Massensterben, der Kalamität, führt, die nur noch wenige Individuen überleben. Ein weithin bekanntes Beispiel für diesen Mechanismus liefern die afrikanischen Wanderheuschrecken. Bis sich eine solchermaßen drastisch dezimierte Population wieder erholt, verstreicht meist eine lange Zeit. Zudem geht bei einem solchen Zusammenbruch einer Population deren breites Spektrum an Erbanlagen, der Genpool, weitgehend verloren.Das Wachstum von PopulationenNeben der Alters- und Geschlechterverteilung der Individuen wird im Rahmen der Populationsökologie besonders das Populationswachstum untersucht. Populationen können einen optimalen Individuenstand und damit eine größtmögliche genetische Vielfalt vor allem dann langfristig sichern, wenn sie ihre Bestandsgröße der in erster Linie durch Nahrungs- und Raumangebot bestimmten Umweltkapazität flexibel anpassen, zumal sich die Umweltkapazität im Lauf der Zeit durchaus ändern kann.Das Populationswachstum aller Arten von Organismen folgt stets den gleichen Gesetzmäßigkeiten, ebenso das Wachstum von Geweben, Organen sowie isolierten Zellen im Reagenzglas auf künstlichem Nährmedium. Stets kommt das Wachstum zunächst langsam in Gang, um sich allmählich zu beschleunigen. Dieses Stadium wird als Anlaufphase oder Lag-Phase bezeichnet. Im Anschluss an die Anlaufphase verdoppelt sich die Individuenzahl pro Zeiteinheit. Das bedeutet, dass sich die Population nun exponentiell vermehrt. In der Regel nimmt die Individuenzahl bald aber langsamer zu, die Wachstumskurve flacht ab. Wenn trotzdem die Populationen verschiedener Arten von Lebewesen unterschiedlich rasch zunehmen, dann liegt das am unterschiedlich schnellen Wachstum der Populationen in der Phase des exponentiellen Wachstums. Die Verdopplungszeit bei der Fruchtfliege fällt viel kürzer aus als bei Elefanten: Die Wachstumskurve eines Fruchtfliegenschwarms steigt viel steiler an als die einer Elefantenherde. Die Verdopplungszeit stellt also ein artspezifisches Charakteristikum dar — vorausgesetzt, die Wachstumsbedingungen bleiben immer konstant. Sobald die für das Wachstum erforderlichen Ressourcen (zum Beispiel Wasser, Nahrung, Raumangebot) verknappen, klingt das Wachstum in einer Verzögerungsphase langsam aus und schwenkt auf einen konstant bleibenden Wert, den Steady-State-Zustand ein, bei dem sich Geburten- und Sterberate die Waage halten. Wird der gesamte Wachstumsvorgang in Abhängigkeit von der Zeit grafisch dargestellt, dann ergibt sich eine s-förmige (sigmoide) Kurve.Diese s-förmige Wachstumskurve, bei der Kapazitätsgrenze und Größe der Population letztlich identisch sind, ist allerdings eine Idealisierung; man findet sie in der Natur nur höchst selten verwirklicht. Meist schwenkt die Wachstumskurve nicht exakt auf das Niveau der Kapazitätsgrenze ein, vielmehr wird diese oftmals zunächst überschritten, um dann infolge des dadurch verursachten Ressourcenmangels unter diesen Wert abzusinken. In der Regel stellen sich also gewisse artspezifisch unterschiedlich ausgeprägte Schwankungen um die Kapazitätsgrenze ein, die sich entweder ständig in gleicher Weise wiederholen (ungedämpfte Oszillationen) oder allmählich immer geringer werden (gedämpfte Oszillationen).Es gibt allerdings auch Lebewesen, die nicht nur auf Ressourcenmangel mit vermindertem Wachstum reagieren, sondern erst beim Erreichen einer gewissen Individuendichte ihr Populationswachstum einschränken. Bei solchen Organismen stellt sich ein Dichtestress ein, der sich in lebensverkürzenden Erkrankungen, wie beispielsweise Nierenversagen und Herzinfarkt, oder in hormonellen Störungen äußert.BiozönosenDie Untersuchung des Zusammenlebens der verschiedenen Arten, die sich in einem bestimmten Lebensraum angesiedelt haben, ist Aufgabe der Synökologie. Aus der gemeinsamen Nutzung eines begrenzten Lebensraums ergeben sich Wechselwirkungen aller dort lebenden Arten untereinander. Dazu gehören sowohl die Konkurrenz um Nahrung und Lebensraum als auch gegenseitige Ergänzungen, wie beispielsweise die Beseitigung der Kotballen von Weidetieren durch Mistkäfer oder das Vertilgen von Hautparasiten großer Tiere durch bestimmte Vögel. Solche Wechselwirkungen können sich im Lauf der Zeit so eng gestalten, dass daraus Symbiosen oder aber Parasitismen hervorgehen. Eine weitere Form des Zusammenlebens besteht schließlich darin, dass sich verschiedene Arten weitgehend aus dem Weg gehen, indem sie unterschiedliche Ressourcen des Lebensraums nutzen. Man spricht in diesem Fall von einer Koexistenz.Die Gesamtheit aller Lebewesen eines bestimmten Lebensraums wird als Biozönose bezeichnet. Dieser Begriff wurde erstmals im Jahr 1877 von dem Zoologen Karl August Möbius eingeführt. Der Lebensraum selber heißt Biotop. Biozönose und Biotop zusammen bilden ein Ökosystem.Die Biozönose eines Ökosystems wird häufig in einzelne Teilbiozönosen gegliedert. Eine solche Untergliederung ist immer dann gerechtfertigt, wenn die Teilbiozönosen in sich geschlossene Lebensgemeinschaften bilden. Beispielsweise existieren in einem Gewässer charakteristische Teilbiozönosen: am Gewässergrund die benthontischen Organismen, im freien Wasser pelagische und planktontische Lebewesen und an der Wasseroberfläche das Pleuston. Natürlich gibt es auch an Land Teilbiozönosen. Eine recht engräumige Schichtung in Teillebensgemeinschaften wird beispielsweise auf Wiesen erkennbar, wo charakteristische Gemeinschaften an Gräser und Kräuter gekoppelt sind, wie die Gemeinschaft aus Blattläusen und Marienkäfern, während andere im Wiesenboden leben, wie Springschwänze, Regenwürmer und Maulwürfe. Sehr viel weiträumiger fallen dagegen Teilbiozönosen in tropischen Regenwäldern aus, die dort den Boden und die verschiedenen Schichten von Baumkronen bewohnen. Sind Teilbiozönosen in ihrem Lebensraum geschichtet angeordnet, spricht man auch von Stratozönosen. Solche horizontalen Schichtungen können sich aus unterschiedlichen Nahrungsangeboten, Verschiedenheiten des Mikroklimas und verschiedenartigen Lebensweisen ergeben, die die einzelnen Schichten erzwingen.Prof. Dr. Günter Fellenberg, WolfsburgWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Ökologie: Nahrungsbeziehungen zwischen den ArtenBegon, Michael, u. a.: Ökologie. Aus dem Englischen. Neuausgabe Heidelberg u. a. 1998.Klötzli, Frank: Ökosysteme. Aufbau, Funktionen, Störungen. Stuttgart u. a. 31993.Lovelock, James: Gaia. Die Erde ist ein Lebewesen. Anatomie und Physiologie des Organismus Erde. Aus dem Englischen. Taschenbuchausgabe München 1996.Mit der Erde leben. Beiträge geologischer Dienste zur Daseinsvorsorge und nachhaltigen Entwicklung, herausgegeben von Friedrich-Wilhelm Wellmer u. a. Berlin u. a. 1999.Natur- und Umweltschutz. Ökologische Grundlagen, Methoden, Umsetzung, herausgegeben von Lore Steubing u. a. Jena u. a. 1995.Odum, Eugene P.: Ökologie. Grundlagen, Standorte, Anwendung. Aus dem Englischen. Stuttgart u. a. 31999.Odum, Eugene P. / Reichholf, Josef: Ökologie. Grundbegriffe, Verknüpfungen, Perspektiven. Brücke zwischen den Natur- und Sozialwissenschaften. Aus dem Englischen. München u. a. 41980.Osteroth, Dieter: Biomasse. Rückkehr zum ökologischen Gleichgewicht. Berlin u. a. 1992.Schaefer, Matthias: Ökologie. Jena 31992.Das Überlebensprinzip. Ökologie und Evolution, bearbeitet von Hinrich Bäsemann u. a. Hamburg 1992.
Universal-Lexikon. 2012.